Digital Immigrants – digitale Grundbildung für sozial benachteiligte Familien mit Zuwanderungsgeschichte, ein Kooperationsprojekt mit dem Bildungsbüro der Stadt Nürnberg. Wissenschaftliche Begleitung (2020-23, Gefördert von BMIH)
Digitale Grundkompetenzen sind in den letzten Jahren immer mehr zu einem entscheidenden Faktor für gesellschaftliche Teilhabe im Allgemeinen und für Teilhabe an Bildungsprozessen im Speziellen geworden. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben diese Entwicklung innerhalb kürzester Zeit enorm verstärkt. Zudem wird die Verlagerung von Bildungs- und Arbeitsprozessen ins Digitale in vielen Fällen unabhängig vom weiteren Pandemie-Verlauf wirksam bleiben.
Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Erprobung innovativer Vermittlungskonzepte zur digitalen Grundbildung für die spezifischen Bedarfe von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Die beiden zentralen Elemente sind eine online abrufbare Toolbox zur digitalen Grundbildung und ein stadtweites Peer-Learning-Netzwerk (Digi-Coaches und Digi-Mentor-/innen).
Die Projektkoordination liegt beim Bildungsbüro der Stadt Nürnberg, das das Projekt in Kooperation mit dem Medienzentrum Parabol und der Stiftung Sozialidee und zur wissenschaftlichen Begleitung mit dem Institut für E-Beratung der TH Nürnberg durchführt. Das Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) .
https://www.nuernberg.de/internet/bildungsbuero/digitalimmigrants.html
Auftakt des Projektbeirats “Digital Immigrants”
Am 4. Februar 2021 tagte erstmalig der Beirat des Projektes „Digital Immigrants“, der das Modellprojekt während seiner dreijährigen Laufzeit als „Critical Friend“ und Türöffner begleitet. Das neue Gremium setzt sich zusammen aus Expertinnen und Experten der Themenfelder Integration und Partizipation, Digitalisierung sowie interkommunaler Wissenstransfer. Mitglieder des Beirates sind:
- Mitra Sharifi-Neystanak, AGABY – Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten und Integrationsbeiräte Bayerns e.V.
- Zühre Özdemir-Hohn, Migrantenorganisationen in Nürnberg – MOiN
- Dr. Elisabeth Demleitner, Institut für Pädagogik und Schulpsychologie IPSN
- Markus Lindner, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung | Transferagentur Großstädte
- Fritjof Knier, Tür an Tür Digitalfabrik gGmbH
- Dr. Niels Brüggen, JFF Institut für Medienpädagogik
Passend zu Zielsetzung und Inhalt des Projektes fand die Auftaktveranstaltung in digitaler Form statt. Das Bildungsbüro der Stadt Nürnberg, Träger des Projektes, war dabei vertreten durch Dr. Martin Bauer-Stiasny, Thomas Kießlich, Marc Hümpfner, Martina Schuster und Derya Yildirim. Für die Verbundpartner wirkten Trudi Götz von der Stiftung Sozialidee und Klaus Lutz vom Medienzentrum Parabol an der konstituierenden Sitzung mit. Das Institut für E-Beratung, das die wissenschaftliche Begleitung des Projektes durchführt, war vertreten durch Sigrid Zauter und Marion Bradl. Die Expertinnen und Experten formulierten Fragestellungen und Sichtweisen zum Thema digitale Teilhabe aus ihren jeweiligen Themengebieten. So ist es aus Sicht der Migrantenorganisationen wichtig, dass Eltern Informationen darüber bekommen, wie sie ihre Kinder besser beim digitalen Lernen insgesamt, auf den verschiedenen Endgeräten insbesondere, unterstützen können. Eine Toolbox für digitales Lernen könnte durch Migrantenvereine und Integrationsbeiräte beispielsweise mittels eines Erklärvideos beworben werden.
Erste Zwischenergebnisse aus den Denkwerkstätten
In sogenannten Denkwerkstätten, Workshops mit ausgewählten 8 Teilnehmer*innen aus der Zielgruppe, erprobt und erarbeitet das Projektteam der Digital Immigrants von Januar bis Juli 2021 Lehr-Lernmaterialien zur digitalen Grundbildung für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Die Evaluationsergebnisse des ersten Teils der Denkwerkstätte verweisen auf die beiden bisher größten Herausforderungen bei der Erprobung und Entwicklung der Module zur digitalen Grundbildung für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte: Die pandemiebedingten Veränderungen der Projektdurchführung und die methodisch-didaktische Herausforderungen, die sich aus der Verbindung des heterogenen digitalen Kompetenzniveaus und der heterogenen Sprachniveaus ergeben. Die Zwischenevaluation liefert zudem auch wichtige Hinweise über förderliche Kriterien und Methoden für eine erfolgreiche Durchführung der Workshops und die gemeinsame Erarbeitung der Inhalte und Materialien für die Toolbox.
Digitale Grundbildung von Familien mit Zuwanderungsgeschichte
Eine Projektbeschreibung von Marion Bradl M.A. im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung des Projektes Digital Immigrants, Dezember 2021
Der massive Digitalisierungsschub, den die Corona-Pandemie ausgelöst hat, hat deutlich gezeigt, dass Menschen aus strukturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen auf dem Weg von der analogen zur digitalen (Lern-)Welt abgehängt werden. Zugewanderte und ihre Familie sind davon besonders betroffen [1] – durch ihre Migrationsgeschichte einerseits, vor allem aber durch die soziale Herkunft[2]. Durch Migration gehen wichtige strukturelle Ressourcen wie etwa soziale Netzwerke oder die Übertragbarkeit der eigenen Bildungserfahrung verloren. Die eigene Muttersprache ist nicht die Schul- und Bildungssprache der Kinder, wer Deutsch nicht ausreichend spricht, kann seinen Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen. Wenn Eltern zudem niedrig entlohnte Arbeit, beispielsweise wegen fehlendem Bildungsabschluss oder fehlender Anerkennung des Bildungsabschlusses, annehmen müssen, dann bleibt kein Geld für Lernmaterialien und einen eigenen Computer. Dabei zählen digitale Grundkompetenzen heute längst mit zu den entscheidenden Faktoren für erfolgreiche Bildungsprozesse und überhaupt für gesellschaftliche Teilhabe.
Das Projekt „Digital Immigrants – digitale Grundbildung für sozial benachteiligte Familien mit Migrationshintergrund“ greift diesen Bedarf auf mit dem Ziel, digitale Teilhabe nachhaltig zu fördern. Doch wie kann digitale Teilhabe auch für Familien in prekären ökonomischen Situationen ermöglicht werden? Und wie kann die Teilhabe nachhaltig gesichert werden? Als grundlegend für einen inklusiven und nachhaltigen Ansatz zur digitalen Teilhabe erweisen sich aus Sicht der Begleitforschung dabei insbesondere folgende konzeptionellen Bausteine des Projektes:
- Zentrale Maßnahme des Projektes und wichtigstes Instrument der Teilhabe ist die Erarbeitung einer Online-Toolbox zur Schulung digitaler Kompetenz. Die Toolbox hält Materialien und Module für Lehr- und Lerneinheiten zu grundlegenden Themen digitaler Kompetenz in einfacher Sprache bereit und wird auch nach Projektende weiterhin kostenfrei online zur Verfügung stehen. Sie wurde auf Grundlage einer Analyse bereits angewandter Inhalte und Methoden der digitalen Grundbildung entwickelt und in gemeinsamen Workshops mit der Zielgruppe erprobt. Fachliche und sprachliche Hürden konnten dadurch weitestgehend reduziert werden.
- Der Aufbau eines stadtweiten Peer-Learning-Netzwerks mit Digi-Coaches für Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ermöglicht nicht nur unmittelbare Zielgruppenansprache und eine geschützte Lernatmosphäre, sondern auch eine von (Bildungs-)Institutionen unabhängige Weitergabe von Wissen.
- Die Bereitstellung der notwendigen Soft- und Hardware für alle Teilnehmenden sowie die Überlassung der Endgeräte an die Digi-Coaches und -Mentor*innen zum weiteren Peer-to-Peer-Coaching auch nach Projektende.
- Die digitale Bereitstellung der erarbeiteten Materialien in einer Online-Toolbox ermöglicht nicht nur eine fortlaufende Erweiterung und Anpassung des Materials in einem sich schnell verändernden Fachgebiet, sondern auch die Möglichkeit einer individualisierbaren Einteilung der aufbereiteten Lehreinheiten, unterstützt durch ein digitales Fachwörter-Glossar in Einfacher Sprache. https://digitalimmigrants.de/
- Der bundesweite Austausch und Transfer der Erkenntnisse und Produkte ist bereits ab dem zweiten Jahr der Projektlaufzeit geplant. Durch den Transfer und die Übernahme des Konzepts durch andere Kommunen profitieren Menschen bundesweit von den Ergebnissen und können unkompliziert und ortsunabhängig auf die Online-Toolbox zugreifen.
Das Projekt „Digital Immigrants“ wird gefördert vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) und hat eine dreijährige Laufzeit bis 09/2023. Es wird durchgeführt in Kooperation mit der Stiftung Sozialidee, dem Medienzentrum Parabol und dem Institut für E-Beratung der TH Nürnberg, das die wissenschaftliche Begleitforschung durchführt.
[1] Lochner, S., Jähnert, A. (Hrsg.). (2020): DJI-Kinder- und Jugendmigrationsreport 2020: Datenanalyse zur Situation junger Menschen in Deutschland. wbv Media GmbH & Co. KG, Bielefeld. https://doi.org/10.3278/6004754w
[2] Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2016): Doppelt benachteiligt? Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem. Eine Expertise im Auftrag der Stiftung Mercator. SVR GmbH, Berlin.